Nachgedacht Dezember 2023 / Januar 2024

Hans von Kulmbach: Flucht nach Ägypten, um 1500

Die Besichtigung der Abteilung „Altdeutsche Gemälde“ in der Galerie bereitet mir Freude. Ich liebe die Bilder, die mit viel Liebe zum Detail gemalt sind, auf denen es so viel zu entdecken gibt – den kleinen Vogel, die Schnecke, die verschiedenen Blumen ..., die zudem alle nicht zufällig dort sind, wo sie sind, sondern immer noch eine tiefere Bedeutung haben.

Ein Bild kommt anders auf mich zu: Hans von Kulmbachs „Flucht nach Ägypten“. Maria und Joseph sind mit ihrem neugeborenen Kind unterwegs nach Ägypten. Mit nichts ausgestattet als dem Esel, einem Beutel und Josephs Wanderstab. Die üppig grünen Wälder, in denen man einen schattigen Ruheplatz finden oder einen Bach, an dem man die Trinkflasche auffüllen könnte, gibt es in natura in diesem Landstrich nicht. Eher müssen wir ihn uns als Wüste vorstellen – mit wesentlich holprigeren Wegen, auf denen die Flüchtenden ungeschützt der Hitze und dem Durst ausgesetzt sind. Und doch ist dieser unwirtliche Weg die einzige Chance zu überleben. Denn in Bethlehem metzeln die Schergen des Herodes alle kleinen Knaben mit brutaler Gewalt nieder. Sicher fallen ihnen auch etliche Mütter, Väter, Geschwister, Großeltern zum Opfer, die sich ihnen in den Weg zu stellen versuchen. Wenn es um Hass, Machtgier und Rache geht, kennt Gewalt keine Grenzen.

In eben der Gegend, durch die sie gerade ziehen, hat es wenige Tage zuvor (im Oktober 2023) ein ähnliches Massaker gegeben wie das, vor dem seine Eltern mit Jesus fliehen: Kinder – und mit ihnen Frauen, Männer, Ältere, Jüngere... – sind brutal niedergemetzelt worden von Gewalttätern der Hamas. Aus denselben Motiven: Hass, Machtgier und Rache. Aus diesem unsagbar schrecklichen Geschehen ist ein ebenso schrecklicher Krieg geworden. Mit unzähligen auch zivilen Opfern auf beiden Seiten.

Die Grenze nach Ägypten, die der Familie Jesu zu überschreiten möglich war, steht den heutigen Flüchtlingen leider nicht offen. Selten, wie ein Tropfen auf den heißen Stein, können Hilfstransporte in umgekehrter Richtung sie passieren. Von außen ist ein Urteil über die Situation kaum möglich.

Was uns möglich ist – und womit wir nicht aufhören sollten! – ist, dass wir zu dem, der auf diesem Bild Flüchtling ist, schreien um Frieden. Er ist zurückgekommen aus dem Land, das ihm Schutz gewährt hatte. Seinen Weg hat ausgemacht, dem Hass, der Machtgier, der Rache, der Gewalt anderes entgegenzusetzen: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Auf diesem Weg konnte er dem Tod nicht noch einmal ausweichen. Aber er ist hindurchgedrungen zum Leben und zur Versöhnung.

Dieser – zumeist unwirtliche – Weg ist auch jetzt die Chance zu überleben.

Gabriele Führer


Foto: Gemälde von Hans von Kulmbach, Privat

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