Nachgedacht April/Mai 2023

Oster-Stein

„Wer wälzt den Stein von der Tür des Grabes?“, fragten die Frauen, als sie am Ostermorgen zum Grab Jesu unterwegs waren. Für sie war der „Oster-Stein“ gerade der, der aus dem Weg geräumt war und den Blick frei gab in das leere Grab. Der dicke Brocken, der das Leben eben nicht unter sich begraben konnte!

Anders mein „Oster-Stein“: Er wurde mir geradewegs vor die Füße – nein, gewälzt nicht! (Das wäre bei einer Seitenlänge von 4 cm wahrlich übertrieben!) Aber vielleicht doch gelegt – mir so vor die Füße gelegt, dass ich ihn aufheben musste.
Gefunden habe ich ihn am 10. November 1989 an der Ostsee.

Wir waren zur Beerdigung einer Freundin gefahren. Weil wir schon ganz früh hatten starten müssen, waren wir am Vortag zeitig zur Ruhe gegangen. Und hatten so am Abend die aufregende Nachricht von der Öffnung der innerdeutschen Grenze regelrecht verschlafen. Erst unterwegs hörten wir aus dem Radio davon.

Vor Beginn des Trauergottesdienstes war noch eine Stunde Zeit. Ich wollte ein wenig für mich sein und lief den Strand entlang. Da fand ich den Stein. War es zunächst sein kleines Löchlein an der Unterseite, das mich den „Hühnergott“ aufheben ließ? Ich weiß es nicht mehr.

Doch dann fiel mir die Vorderseite ins Auge: Der Stein sieht aus wie ein Hügel. Vorn eine große Öffnung – wie der Eingang zu einer Höhle. Der Grabeshöhle? Eine schemenhafte Gestalt steht darinnen. Ist das der Engel, der sagt: „Jesus ist nicht mehr im Grab. Er ist auferstanden. Er lebt!“ – der?

Ich habe sie so gedeutet. Seine Botschaft hat mich an diesem Tag doppelt berührt:Gleich würden wir die tote Freundin ins Grab legen. Und zugleich in die Hände Gottes – in der Hoffnung, dass er sie auferweckt in das neue Leben in seiner neuen Welt. Weil Jesus für uns „den Stein des Todes“ weggewälzt und den Zugang zum Himmel, zum ewigen Leben eröffnet hat. Von dieser Hoffnung lebe ich. Und gerade an einem offenen Grab muss sie sich bewähren.

Dann waren da die herausgebrochenen Steine aus der Mauer. Wie viele Hoffnungen, menschliche Beziehungen, Lebensmöglichkeiten... hatte die steinerne Grenze förmlich unter sich begraben? Wie viele Menschen waren gestorben, weil sie hinaus in die Freiheit wollten, ihnen die Mauer aber den Weg versperrte? Und auf einmal war geschehen, was viele nicht mehr zu hoffen gewagt hatten: Die Steine waren „weggewälzt“. Sicher – in dem Fall öffnete sich es nicht der Weg zum Himmel. Aber zu einer großen Befreiung, zum Aufatmen schon!

Österliche Hoffnung – sie muss sich immer wieder bewähren – an den Gräbern ebenso wie in den schwierigen gesellschaftlichen Fragen. Doch wenn sie die Kraft hat, dicke, lebensfeindliche Brocken aus dem Weg zu wälzen – sollte sie ihre Kraft nicht auch erweisen, z. B. wenn wir um Frieden in der Ukraine beten oder um Hilfe für die in jeder Hinsicht heikle Lage in Syrien? Oder wenn wir …

Wofür brauchen Sie gerade eine große Portion Osterhoffnung? Schauen Sie doch einmal: Vielleicht finden Sie ja Ihren „Oster-Stein“, der Sie an den Grund zu dieser Hoffnung erinnert und Sie befreit aufatmen lässt!

Gabriele Führer


Bild: privat

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